Kompetenzmodell – So lernen wir

06.05.2015

In meinen Seminaren und Workshops erlebe ich immer wieder Situationen, in denen mich die Teilnehmer fragen: „Mein Gott, wie soll ich das bloß alles umsetzen? Das ist so neu für mich und so schwierig in der Anwendung!“ Und meine Antwort darauf? Ich stelle das Kompetenzmodell vor – die vier Stufen des Prozesses: Wie erlange ich eine neue Kompetenz? Wie lernen wir überhaupt?

Die erste Stufe nenne ich sehr gern die Phase oder Stufe der Glückseligkeit. Glückseligkeit bedeutet: Ich bin in einem Zustand der unbewussten Inkompetenz. Ich weiß also nicht, dass es etwas Neues gibt. Alles das, was ich tue, erledige ich nach bestem Wissen und Gewissen. Und so lange ich damit meine Arbeit gut schaffe, geht es mir auch gut damit.

Ich weiß, dass ich (etwas) nicht weiß

Informationen scheuchen uns aus diesem Zustand auf: zum Beispiel in Trainings oder Workshops. Jemand gibt einen Impuls von außen; häufig bin ich als Trainer derjenige, der diesen Impuls in die Gruppe hinein trägt. Was geschieht? Aus der unbewussten Inkompetenz wird eine bewusste Inkompetenz. Diese Phase ist maximal schmerzlich, weil sie dir aufzeigt, dass es außerhalb dessen, was du bisher schon gelernt hast, weitere Dinge gibt, die interessant für dich sein könnten, die du dir aneignen solltest und möchtest … Und natürlich weißt du: Das kostet Zeit und kann anstrengend sein.

Vielleicht bist du sogar gezwungen, dir die neuen Kenntnisse anzueignen; oder du bekommst nur einen Hinweis, dass du dich mal damit auseinandersetzen solltest. Zu wissen, dass dein bisheriges, sicheres Wissen nun vielleicht nicht mehr ausreicht, versetzt dich in einen Zustand der Unruhe, der Unzufriedenheit und häufig sogar der Angst. Angst zu versagen, Angst „den Anschluss zu verlieren“, Angst vor Konkurrenten mit aktuellerem Know-how zum Beispiel. Schon ein Newsletter kann das bewirken. Newsletter sind darauf ausgerichtet, uns das Gefühl zu geben, dass wir etwas nicht wissen; ein Manko, das wir aber ausgleichen können, indem wir etwas tun: ein Buch kaufen, Literatur verfolgen, ein Video ansehen – um aus dieser bewussten Inkompetenz in einen besseren Zustand zu gelangen.

Du entscheidest!

Was viele Menschen an der Stelle aber vergessen: Es handelt sich nur um ein Angebot, eine Möglichkeit, eine Chance. Du selbst triffst die Entscheidung, wie Du mit der Information, die Dir deine Inkompetenz bewusst gemacht hat, umgehen. Du kannst klar sagen: Ich mache weiter! Das Thema, auf das ich hier gerade aufmerksam gemacht werde, ist für mich so wichtig, dass ich es weiterverfolgen möchte. Dann kommt die nächste Stufe des Kompetenzmodells.

Du kannst aber genauso gut entscheiden: Nein, das ist zwar interessant, aber ich möchte mich jetzt nicht damit auseinandersetzen. Ich lösche die E-Mail oder den Newsletter beziehungsweise sage jemandem, der mir gerade etwas Neues andient, klar – und wertschätzend: „Das finde ich interessant. Toll, dass du mich darauf aufmerksam gemacht hast! Aber mir reichen meine bisherigen Kompetenzen.“

Hast du dich entschieden weiterzumachen, dann folgt Phase drei, die nächste Stufe im Kompetenzmodell: die Stufe der bewussten Kompetenz. Bewusste Kompetenz erreichst du, indem du dir Wissen bewusst aneignest: Du hast etwas gelernt und erinnerst dich sehr gut daran; vielleicht bekommst du sogar Checklisten oder hast selber welche erstellt, die du in Zukunft verwendest. Du beginnst, nach einem neuen Verfahren deine Aufgaben zu lösen, deinen Alltag zu gestalten und zu bewältigen.

Diese Phase ist sehr anstrengend.

Mühe, die sich lohnt: bewusste Kompetenz

Ich vergleiche das gern mit der Führerscheinprüfung. Der Fahrlehrer hat dir beigebracht, wie man mit einem Auto fährt, wie man kuppelt, schaltet und Gas gibt. Aber dann kommt die Prüfung: Der Fahrprüfer sitzt mit im Auto, der Fahrlehrer sitzt dabei, vielleicht noch ein weiterer Fahrschüler – und die Aufgabe ist, am Berg an einer roten Ampel anzufahren. Es wird grün – o. k.: Handbremse ziehen, Kupplung treten, ersten Gang einlegen. Gucken, langsam kommen lassen, ein bisschen Gas geben, gleichzeitig Handbremse lösen, und das Ganze soll möglichst so passieren, dass das Auto nicht abgewürgt wird und dass du losgefahren bist, bevor die Ampel wieder von Grün auf Rot springt. Hinter mir hupende Autos … Maximaler Stress.

Jeden einzelnen Schritt musst du bewusst steuern: Diesen Prozess erleben wir im Alltag, wann immer wir etwas Neues lernen und zu integrieren versuchen. Und das Anstrengende daran hat vor allem damit zu tun, dass er viel Energie benötigt. Wenn du aber dranbleibst, übst, Schritt für Schritt erfolgreich bist und weitermachst, dann hast du eine sehr gute Chance, durch regelmäßiges Training und weiteres Ausprobieren die nächste Stufe zu erreichen: Routine – und damit die unbewusste Kompetenz.

Das kannst Du im Schlaf!

Du erledigst komplexe Abläufe nebenbei. Du kannst plötzlich Dinge anders tun, als du sie vorher getan hast, ohne genau zu wissen, wie du das überhaupt geschafft hast. Denken wir noch einmal an die Autosituation: Viele von uns bewegen sich mit dem Wagen von A nach B, ohne genau zu wissen, wann sie gekuppelt oder geschaltet haben, nebenbei haben sie vielleicht noch mit einem Mitfahrer gesprochen, dem Radiomoderator zugehört oder Musik gehört, telefoniert, überhaupt viele Dinge parallel gemacht – und sind dennoch sicher und souverän von A nach B gekommen.

Auch im beruflichen Kontext ist es so, dass uns Dinge, die wir regelmäßig tun, leicht von der Hand gehen; in diesen Bereichen sind wir Könner, die den Zustand der unbewussten Kompetenz erreicht haben.

Und wenn du dort angelangt bist – dann schließt sich der Zirkel: Mit deiner unbewussten Kompetenz, dem Wissen, das dir „in Fleisch und Blut übergegangen“ ist, bist du gleichzeitig wieder im Zustand der unbewussten Inkompetenz; also genau da, wo wir vorhin gestartet sind. Du hast wieder das Gefühl, alles im Griff zu haben – so lange, bis jemand kommt und dir eröffnet: Da könnte es noch etwas Weiteres geben.

Mit diesem Modell schaffe ich es häufig, in Trainings und Workshops den Teilnehmern ein Stück Gelassenheit zu vermitteln. Denn sie erkennen, dass ihre Ängste, die sich auftun mit der Erkenntnis „Hier muss etwas Neues passieren!“, auf der einen Seite berechtigt, auf der anderen Seite aber sehr gut lösbar sind. Sie haben immer wieder die Entscheidung in der Hand: „Will ich in diesem Zustand der bewussten Inkompetenz weitermachen? Ja – oder nein!“

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Erfolg beim Übergang von der bewussten Inkompetenz zur unbewussten Kompetenz.