Veränderungskurve

28.10.2016

In meinen Coaching-Sessions mit Führungskräften werde ich immer wieder gefragt, warum sich Menschen so unterschiedlich verhalten, wenn sie mit Veränderungen konfrontiert werden.

Ein Beispiel: Der Chef informiert den Mitarbeiter über eine anstehende Veränderung – und dieser schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, beginnt zu toben, geht raus und ruft: „Auf keinen Fall mache ich das mit!“ In solchen Fällen ist es hilfreich, sich zu vergegenwärtigen, dass Menschen im Laufe der Zeit ähnliche Verhaltensweisen annehmen. Bleiben wir bei der Veränderung: Im Team, in der ganzen Belegschaft oder bei einzelnen Mitarbeitern stellt sich eine Art Vorahnung ein, dass etwas passieren wird. Und tatsächlich: Die Führungskraft sagt den Mitarbeitern, dass es zu einer Veränderung kommen wird. Die erste Reaktion eines Großteils der Mitarbeiter: „Nein, das will ich nicht!“ Zunächst folgt eine Phase der Verneinung. Erkennen lässt sich diese Phase daran, dass die Mitarbeiter sich eher zurückziehen und nicht mehr das leisten, was sie eigentlich können und sollten.

Danach kommt die spannende Phase des Zorns, in der ganz viel Energie aktiviert wird. Jeder Einzelne setzt sich mit der Veränderung auseinander – leider häufig mit dem Ziel, die Veränderung zu verhindern! Dazu gehört, dass jeder Mitarbeiter sich genau informiert und vielleicht auch Allianzen mit anderen Abteilungen bildet. Getrieben von der Hoffnung, dass man das Ganze noch abwenden kann.

Wenn du als Führungskraft die Veränderung weiterhin für notwendig erachtest, dann ist es wichtig, hier innezuhalten – und nicht genau zu beschreiben beziehungsweise vorzuschreiben, wie die Abläufe in Zukunft sein sollen. Das macht erst nach der nächsten Phase Sinn, dem„Tal der Tränen“. Dem Mitarbeiter wird dann klar, dass nicht wir uns als Unternehmen ändern, sondern dass er persönlich sich ändern muss. Er muss etwas tun, was er vorher gar nicht absehen kann. Das löst bei den Mitarbeitern häufig echte Schmerzen aus. Einem mehr oder weniger großen Teil der Mitarbeiterschaft geht es nicht gut damit – man sieht es an den vielen Fragezeichen in ihren Gesichtern. Sie müssen sich von alten Dingen und vertrauten Abläufen verabschieden, und die Bereitschaft, das Neue zuzulassen, ist noch nicht da. Das Positive daran ist, dass er sich damit auf der Veränderungskurve schon ein Stück nach rechts, in Richtung Wandel und Fortschritt, bewegt.

Wenn er dort angekommen ist, entsteht erst die Bereitschaft, sich damit auseinanderzusetzen, wie die Zukunft aussehen soll. Jetzt kann ich als Führungskraft gemeinsam mit den Mitarbeitern daran arbeiten und überlegen: „Wie schaffen wir es am besten, von A nach B zu kommen?“ Wenn ich den Change-Prozess so gestalte, dann wird es am Ende besser werden und der Wandel kann gelingen. Wichtig ist nur, dem Mitarbeiter genug Zeit zu geben, die einzelnen Phasen auch wirklich zu durchlaufen. Wenn ich hingegen mit dem Anspruch antrete, dass die von mir angekündigte Veränderung direkt am nächsten Tag umgesetzt sein soll, dann wird das Vorhaben scheitern. Das hängt einfach damit zusammen, dass die Menschen Zeit brauchen, sich mit der angestrebten Veränderung auseinanderzusetzen.

Als Führungskraft hast du aber häufig auch 10, 20 oder 100 Mitarbeiter. Und diese individuell verschiedenen Menschen brauchen zum Durchlaufen der Wellenform der Veränderungskurve unterschiedlich lange. Das erhöht die Komplexität. Einige benötigen drei Tage, um mit der Veränderung klarzukommen, andere benötigen aber vielleicht auch zehn oder zwölf Tage. Hierauf zu achten und die jeweilige Geduld aufzubringen ist eine echte Herausforderung.

Ein wichtiger Hinweis zur Phase der Depression: Wenn ein Mitarbeiter sich in dieser Phase befindet, ist er emotional nicht in der Lange, sich über die Zukunft Gedanken zu machen, sondern seine Energien sind noch daran gebunden, Abschied von der Vergangenheit zu nehmen. Als Führungskraft muss ich hier besonders aufpassen und dem Mitarbeiter immer bis zum Ende zuhören. Denn erst, wenn alles ausgesprochen ist, ist er bereit für Neues und ich kann versuchen, noch einmal zu erklären, warum die Veränderung gut und nötig ist und wie sie ablaufen soll.

Der große Nutzen der Veränderungskurve: Mit ihr kann jede Führungskraft, aber auch jeder Einzelne selbst besser einschätzen, dass der Weg der Veränderung von Instabilität geprägt ist und nicht gerade verläuft. Und dennoch zum Ziel führt.